Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen hat vor 30 Jahren in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit jungen ADHS-Patienten gearbeitet. Jetzt hat er eine Reportage über ADHS gemacht. Auch er selbst ist von der Krankheit betroffen.
ADHS – Das steht für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Früher sprach man vom sogenannten "Zappelphilipp"-Syndrom und man dachte, das könne nur Jungs betreffen. Mittlerweile weiß man, dass dem nicht so ist. Eckart von Hirschhausen versucht in seiner Dokumentation mit vielen Irrtümern über ADHS aufzuräumen. Wir haben mit ihm im SWR1 Interview darüber gesprochen.
SWR1: Sie haben gesagt, der Film ist nicht Ihre erste Reportage, aber die persönlichste. Warum?
Eckart von Hirschhausen: Weil ich vor 30 Jahren als Arzt Kinder mit ADHS behandelt habe. Damals dachte man, das betrifft nur die Jungs, und das wächst sich aus. Deswegen habe ich diese ARD Reportage gemacht, weil ich sagen muss, beide Sachen stimmen nicht. Es betrifft eben auch Mädchen und Frauen – und es wächst sich nicht aus. Über die Hälfte der Menschen, die als Kinder damit Probleme hatten, nehmen das mit ins Erwachsenenalter. Und das ist echt ein blinder Fleck.
SWR1: Ist das bei Mädchen und Jungs oder Frauen und Männern unterschiedlich?
von Hirschhausen: Ja. Wir reden immer über ADHS, also Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom. Das ist aber oft ohne das "Zappelige". Klassisch ist ja der Zappelphilipp. Dann steht das "H" für dieses Hyperaktive. Aber ich selber zum Beispiel bin auch milde betroffen. Das ist auch Teil der Reportage, dass es auch ein Weg ist, über die Diagnostik hin zu einer richtigen Behandlung zu kommen.
Ich selber habe nicht dieses "Zappelige", und viele Mädchen und Frauen haben auch andere Symptome. Die wenden diese Unruhe eher gegen sich selbst als nach außen. Da gibt es viele begleitende Erkrankungen von Sucht, Depression oder Angststörung. Deswegen kläre ich darüber auf, weil ungefähr zwei Millionen Erwachsene betroffen sind – und viele wissen es nicht.
SWR1: Wie merkt man das denn?
von Hirschhausen: Ich (lacht) erzähle auch sehr oft darüber, wie dieser Diagnoseweg einem auch die Augen öffnet für die Wahrnehmung von anderen. ADHS ist nicht die große Katastrophe, sondern eine Ansammlung von vielen kleinen Dingen, die um drei Kernsymptome kreisen:
Kernsymptome von ADHS
- Man kann sich schwer auf eine Sache konzentrieren.
- Man ist sehr leicht ablenkbar, und man bleibt eben deswegen auch nicht so lange dran.
- Man hat Schwierigkeiten, vorauszuplanen und Prioritäten zu setzen.
von Hirschhausen: Teil dessen, wie man da auf den richtigen Weg kommt, sind auch lange Fragebögen. Und dann saß ich neben meiner Frau, und da gibt es diese Fragen: "Hört nicht richtig zu" oder "Vergisst wichtige Zusagen" und so weiter. Und ich sagte: "Ja, kenne ich so ein bisschen von mir. Ich gebe mir meine Drei." Und sie sagte: "Nee, du bist ganz klar eine Fünf, kreuz die Fünf an." (lacht)
Und das ist eben auch ein wichtiger Punkt: Wir denken immer an die Schulzeit mit ADHS. Aber wenn man das ins Erwachsenenalter mitnimmt, hat es immer zwei Seiten. Das eine ist das Schöne, Impulsive, Kreative. Ich habe 30 Jahre als Bühnenkünstler natürlich davon profitiert, dass ich sehr schnell assoziieren kann, dass ich Medizin und Unterhaltung oder jetzt mit meiner Stiftung "Gesunde Erde, gesunde Menschen" auch Klima und Gesundheit verbinde.
Ich kann leichter Themen, die andere in zwei Schubladen halten, miteinander verknüpfen. Das ist das Positive. Die andere Seite ist, dass Menschen drumherum sehr leiden und das war wichtig, auch diese Beziehungsaspekte mit reinzubringen. Und eins der Dinge, die mir am meisten nahegingen: Ich war im Knast.
SWR1: Was ist da passiert?
von Hirschhausen: Da habe ich einen jungen Mann getroffen, und das ist auch ganz wichtig, dass wir uns die gesellschaftliche Dimension klarmachen: Es gibt Studien, die zeigen, dass die Betroffenheit von ADHS unter Inhaftierten um ein Vielfaches erhöht ist. Und das war bei dem jungen Mann, den ich getroffen habe, wirklich so. Der war mit 15 Jahren total getrieben, unruhig, hat sich dann selber mit Drogen "mediziert", weil er nicht wusste, was mit ihm los ist. Er hat gekifft, dann die klassische Dealer-Karriere gemacht, wurde kriminell, ist jetzt im Knast – und endlich kriegt er die richtigen Medikamente und kann Sport und das psychologische, begleitende Programm machen. Medikamente müssen nicht immer sein, da bin ich auch sehr kritisch. Aber manchen Leuten versaut diese unerkannte Störung echt ihr Leben.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.
Die Reportage "Hirschhausen und ADHS" können Sie Montag, 30. Oktober um 20:15 Uhr im Ersten oder jetzt schon in der Mediathek sehen.
Author: Jessica Atkins
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